30. Juni 2012

Benjamin Blümchen im Urlaub

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Inhalt:

An einem sonnigen Tag im Zoo erhält Benjamin überraschend Post. Er hat in einem Suppen-Preisausschreiben eine Reise für zwei Personen nach Italien gewonnen. Natürlich will er Otto mitnehmen, und die beiden freuen sich sehr auf ihre Reise. Als es losgeht, gibt es ein paar Probleme, weil Benjamin nicht in den Schlafwagen passt, aber er und Otto übernachten einfach im Gepäckwagen.

Viele Stunden später erreichen sie das Mittelmeer und werden am Bahnhof herzlich empfangen. Im Hotel sorgt Benjamin natürlich wieder für Aufsehen, doch schon bald beruhigen sich die Leute. Auch das Zimmer ist sehr schön, und Benjamin und Otto fühlen sich sehr wohl.

Nach einem kurzen Mittagsschlaf geht es zum Strand. Eine Menge Leute wollen ein Autogramm von Benjamin, dann kann er endlich in Ruhe schwimmen. Otto und Benjamin genießen ihren Urlaub mit Elefantenreiten, Schwimmen, Eisessen und Sonnen. Als sich Benjamin langweilt, arbeitet er auch als Eisverkäufer und Strandwächter. Ausgerechnet an dem Tag zieht ein gefährliches Unwetter auf ...

Bewertung:

Auch ein Elefant braucht mal Urlaub, und dank eines Preisausschreibens verschlägt es Benjamin ins sonnige Italien. Kinder erwartet hier eine unterhaltsame, aber auch teils lehrreiche Handlung. Ganz wie die meisten Touristen will Benjamin am liebsten sofort an den Strand, nichtsahnend, dass gewöhnlich alle Einheimischen wegen der Hitze um diese Zeit lieber Siesta halten. Das bekommt er erklärt und mit ihm die kleinen Hörer. Das dramatische Unwetter später führt beinah zu einem Unglück, und der kleine Junge, der im Wasser ist, kann froh sein, dass Benjamin rechtzeitig zur Stelle war. Kinder sehen hierbei, dass es wirklich ernst zu nehmen ist, wenn die Eltern sagen, dass man bei ihnen bleiben soll, und dass manche Dinge einfach zu riskant sind. Nebenbei wird natürlich wieder an verschiedenen Stellen für Hilfsbereitschaft plädiert: einmal, als Benjamin als Retter auftritt, und einmal, als er dem Eisverkäufer seine Arbeit abnimmt. Der Eisverkäufer kann sich nun endlich auch mal an den Strand legen, und Benjamin hat Freude daran, sich die Beine zu vertreten, einen neuen Beruf auszuüben und gleichzeitig auch noch jemandem einen freien Tag zu verschaffen.

Lustig wird auch immer wieder. Benjamin sorgt mit seinem Auftreten mehrfach für Furore, sowohl am Bahnhof als auch in der Hotelhalle. Im Hotel stellt er deswegen sofort klar, noch ehe jemand anderes etwas sagen kann, dass er tatsächlich ein Elefant ist, dass er tatsächlich sprechen kann und dass er jetzt hier Urlaub machen wird wie alle anderen auch. Erst einmal sind alle sprachlos und brechen dann in fröhliches Gelächter aus ob dieser resoluten Klarstellung. Witzig ist Benjamins niedliche Begriffsstutzigkeit. Im Brief ist davon die Rede, dass er eine Reise für zwei Personen gewonnen habe - und Benjamin glaubt prompt, damit seien irgendwelche konkrete Personen gemeint, die er nicht kennt und fragt Otto hoffnungsvoll, ob er vielleicht auch mitkönne, wobei Otto ihm die Formulierung erst einmal erklären muss.

Sehr schön ist auch Benjamins Bemerkung, dass er manchmal vergisst, dass Otto ja kein richtiger Elefant sei - woraufhin Otto etwas konsterniert erwidert, dass er überhaupt kein Elefant sei, auch wenn Benjamin das wohl gerne so hätte. Dass Benjamin wiederum offenbar manchmal seine eigene Elefantenhaftigkeit vergisst, zeigt sich, als er Otto aus Schüchternheit bittet vorzugehen, damit der Badewächter ihn erst am Schluss sieht ... Sehr amüsant ist zudem die Szene am Frühstücksbuffet. Der sonst so höfliche Benjamin ist so überwältigt von den angebotenen Mengen, die endlich mal elefantengerecht sind, dass er sich mit dem Rüssel überall nach Herzenslust bedient. Otto ist unangenehm, dass die anderen Gäste etwas befremdlich gucken, Benjamin merkt aber gar nicht, dass er sich gerade wie die Axt im Walde benimmt, auch wenn eine Mutter immer wieder verzweifelt "Schau da einfach nicht hin!" zu ihm Kind murmelt. Außerdem gibt es zwei nette Anspielungen auf die Hörspielserie selbst - der kleine Peter am Strand erkennt Benjamin als "den Elefant von den Hörspielkassetten", und Otto hat ein Buch namens "Benjamin auf hoher See" dabei.

Die Sprecher sind, wie man es gewohnt ist, sehr gut besetzt, und es mischen eine Menge Nebendarsteller mit, deren Stimmen man oft in anderen Rollen hört. Da ist Alexander Herzog als Postbote, der bei Bibi und Tina z .B. den netten Hufschmied spricht und bei Benjamin z.B. mal als unangenehmer Rudi Raffke oder als umso freundlicherer Polizist auftaucht. Dann ist da Otto Czarski als Eisverkäufer, der z.B. den Kinderarzt Dr. Wunderlich sprach, den grimmigen Hausmeister in "Benjamin und die Schule" sowie vor allem regelmäßig Oberbrandtrat Lichterloh. Sehr populär ist auch Manfred Schuster als Mann vom Hotel, der u.a. in einigen Folgen als Bibis Schuldirektor mitmischte. Zu bemängeln gibt es an dieser Folge wenig. Allerdings läuft sie etwas gemächlich an und ist wenig spannend, nur gegen Ende, als das Unwetter aufzieht, kommt Dramatik ins Spiel. Vorher passiert recht wenig, alles ist etwas unspektakulär. Benjamin und Oto genießen ihren Urlaub sehr ruhig, vielleicht hätte man einbauen können, dass sie einen Ausflug unternehmen, etwa die Stadt besichtigen, wo es irgendwelche Zwischenfälle hätte geben können - so aber beschränkt sich der Urlaub im Grunde auf das Hotel und den Strand.

Fazit:

Eine gute Folge, die sehr lustig und für Kinder auch ein bisschen lehrreich ist. Die Sprecher sind sehr gut, nur die Spannung kommt etwas zu kurz, wenn man vom letzten Viertel absieht.

Sprechernamen:

Benjamin Blümchen - Edgar Ott
Otto - Frank Schaff-Langhans
Ottos Mutter - Hallgerd Bruckhaus
Postbote - Alexander Herzog
Kellner - Otto Czarski
Mann - Manfred Schuster
Kind - Carsten Zachariae
Frau - Christine Schnell-Neu
Eisverkäufer - Otto Czarski
Badewärter - Norbert Gescher
Erzähler - Joachim Nottke

Benjamin Blümchen als Briefträger

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Inhalt:

Benjamin und Otto liegen im Zoo in der Sonne. Benjamin langweilt sich allerdings sehr und will unbedingt Abwechslung haben. Mitten in ihre Überlegungen, was er tun könnte, kommt der Briefträger vorbei. Als er erwähnt, dass ihm nie langweilig ist, merkt Benjamin auf. Der Briefträger erzählt ein bisschen von seinen Erlebnissen mit den Leuten, und Benjamin ist sehr interessiert. Da schlägt der Briefträger vor, dass Benjamin es selbst in diesem Beruf probieren sollte. Gerade jetzt in der Urlaubszeit wird nämlich eine Aushilfe gesucht.

Schon am nächsten Tag bewirbt sich Benjamin bei der Oberpostdirektion und wird eingestellt. Er erhält eine schöne Uniform und ein elefantengerechtes Fahrrad. Zunächst lernt er, die Briefe nach den Straßen zu sortieren, und dann geht es los. Die Leute sind teilweise unfreundlich, manche wie die einsame Frau Apfelberger aber dafür umso netter.

Benjamin erfährt, dass Frau Apfelberger nie Briefe bekommt. Das macht ihn traurig und nachdenklich. Andere Leute wie Dr. Pichel werden dagegen mit Post überschüttet, die sie nervt. Benjamin beschließt, die Briefe etwas gerechter aufzuteilen - und denkt gar nicht an die Folgen. Aber den alten einsamen Menschen muss doch irgendwie geholfen werden ...

Bewertung:

Es gibt kaum einen Beruf, den Benjamin ausschlägt, und so ist er auch mit Begeisterung dabei, als ihm vorgeschlagen wird, als Briefträger zu arbeiten. Die Handlung ist für Kinder überwiegend lehrreich und sehr unterhaltsam. Zum einen erfährt man ein bisschen was über den Alltag eines Postboten: Benjamin fährt nicht direkt die Briefe austragen, sondern muss sie erst für sein Gebiet ordentlich sortieren. Das ist anfangs ganz schön mühselig, und offenbar hat er an diese Arbeit zuvor gar nicht gedacht. Beim Austragen bekommt er es mit den unterschiedlichsten Leuten zu tun. Manche warten sehnsüchtig auf Post, andere sind kurz angebunden und ärgern sich über Rechnungen, andere muss er enttäuschen, weil für sie nichts dabei ist. Benjamin sieht wie immer seine Hauptaufgabe darin, die Menschen glücklich zu machen. Naiverweise teilt er daher die Briefe so zu, wie es ihm besser zu passen scheint, und verletzt dabei prompt das Briefgeheimnis. Letztlich aber findet er dennoch eine viel bessere Lösung, wie die alten Leute weniger einsam sind. Die Geschichte plädiert dafür, sich um seine Mitmenschen zu kümmern, gerade auch bei den Nachbarn mal zu schauen, ob da vielleicht jemand alleinstehend ist und Gesellschaft gebrauchen könnte. Nebenbei macht die Folge Lust auf eine Brieffreundschaft, in der man sich täglich von seinem Alltag erzählt.

Lustig geht es auch immer wieder zu, vor allem dank Benjamins ausgeprägter Begriffsstutzigkeit. Als sein Vorgesetzter genervt mit "Ich will ja nicht sagen, dass Sie blöd sind ..." anfängt, strahlt Benjamin und freut sich über diese scheinbar liebe Aussage. Goldig ist auch sein Vorschlag an Frau Apfelberger, einfach der medizinischen Firma vom Werbeprospekt einen Antwortbrief zu schreiben - und zwar, dass sie kein Blutdruckmesser braucht, weil sie ja schon ein Küchenmesser habe. Die Sprecher sind grundsätzlich sehr gut besetzt, wobei es irritiert, dass der Briefträger von Till Hagen gesprochen wird - der ja auch der Stammsprecher von Wärter Karl ist. Karl taucht dementsprechend in dieser Episode nicht auf, aber in früheren Folgen war er schon oft dabei, sodass Kinder dadurch zunächst verwirrt werden könnten. Etwas gewöhnungsbedürftig ist Frau Apfelbergers alias Maria Krasnas leicht leiernder Tonfall, der allerdings gut zu der offenbar ziemlich alten Frau passt. Maria Krasna war auch die erste Stimme der Althexe Mania in "Auf dem Hexenberg", wo sie deutlich unsympathischer klang als hier.

Kleine Schwächen gibt es allerdings doch: Nervig ist Benjamins Unverständnis, warum das Briefgeheimnis wichtig ist. Otto versucht es ihm begreiflich zu machen, dass die meisten Leute nicht wollen, dass ihr Brief jemand anderen erreicht als den Empfänger. Aber Benjamin versteht das nicht, seiner Meinung nach darf jeder alles wissen, und er hält nichts von Geheimniskrämerei. Das passt eigentlich nicht zu Benjamin, der in anderen Folgen ja durchaus auch mal Dinge hat, die er nur Otto anvertraut. Ein kleiner Logikfehler besteht darin, dass Benjamin keine Ahnung hat, was ein Gerichtsvollzieher mit "Kuckucks" meint und die kleinen aufgeklebten Vögelchen niedlich findet - dabei ging es in der zweiten Folge "Benjamin rettet den Zoo" gerade sehr um dieses Thema, als dem Zoo drohte, gepfändet zu werden. Für eine Berufefolge verläuft zudem Benjamins Einstellung ungewöhnlich schnell. In wenigen Sätzen gibt der Erzähler wieder, dass Benjamin sich bewirbt, eingestellt wird und eine Uniform bekommt - selbst erlebt man das gar nicht mit. In anderen Folgen wie z.B. "Benjamin als Feuerwehrmann" wird Benjamins Vorstellung ausführlich thematisiert, und das wäre auch hier sicherlich interessant gewesen.

Fazit:

Eine grundsätzlich gelungene Folge, die zwei schöne kindgerechte Lehren vermittelt, witzig ist und gute Sprecher hat. Allerdings gibt es auch kleine Schwächen, vor allem Benjamins Uneinsichtigkeit stört. Trotzdem ist der Gesamteindruck unterm Strich positiv, und es ist eine unterhaltsame Folge.

Sprechernamen:

Benjamin Blümchen - Edgar Ott
Otto - Frank Schaff-Langhans
Briefträger - Till Hagen
Frau Apfelberger - Maria Krasna
Herr Überbein - Buddy Elias
1. Frau - Lola Luigi
2. Frau - Eva-Maria Werth
Dr. Pichel - Otto Czarski
Mann - Gerd Holtenau
Erzähler - Joachim Nottke

Schuld - Ferdinand von Schirach

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 208
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Der Autor:

Ferdinand von Schirach, geboren 1964 und Enkel des ehemaligen NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach, arbeitet seit 1994 als Rechtsanwalt für Strafrecht. 2009 brachte er seinen ersten Band "Verbrechen" mit Erzählungen ungewöhnlicher Fälle aus seinem Berufsleben heraus.

Inhalt:

Volksfest: Es ist ein heißer Augusttag in einer Kleinstadt. Die Bürger feiern ausgiebig ihr Volksfest. Ein siebzehnjähriges Mädchen verdient sich als Kellnerin ein Taschengeld. Als die Männer der Blaskapelle auf die hübsche junge Frau aufmerksam werden, geschieht etwas Furchtbares ...

DNA: Das junge Pärchen Nina und Thomas lebt in zerrütteten Verhältnissen. An Heiligabend lädt sie ein älterer Mann zu sich nach Hause ein, angeblich will er nicht allein sein. Als er Nina im Badezimmer belästigt und Thomas ihr zu Hilfe eilt, kommt es zu einem tödlichen Unfall. Die beiden flüchten, der Fall bleibt rätselhaft. Neunzehn Jahre später aber können die DNA-Spuren verwertet werden ...

Die Illuminaten: Henry ist ein schüchterner, unglücklicher Junge. Im Internat hat er nur einen einzigen Freund, seine Eltern üben Druck aus, er ist ein mittelmäßiger Schüler. Das Zeichnen ist allerdings sein großes Talent, das eine alte Lehrerin entdeckt und fördert. Henrys Klassenkameraden wollen unterdessen dem Geheimorden der Illuminaten nacheifern. Henry soll ihr Opfer werden, das sie durch Folter reinigen wollen ...

Kinder: Die Holbrechts sind ein glückliches junges Paar, er Vertreter, sie Grundschullehrerin. Kinder haben sie noch keine, wünschen sich in der Zukunft aber welche. Da beschuldigt eine Schülerin der jungen Frau ihren Mann des Missbrauchs, ihre Freundin bestätigt sie. Holbrecht beteuert seine Unschuld, wird aber zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, seine Frau lässt sich scheiden. Jahre später trifft er die mittlerweile junge Frau wieder ...

Anatomie: Ein junger Mann wartet im Auto auf eine Frau. Sie hat ihm einen Korb gegeben, dafür soll sie büßen. Schon lange hat er sich an Tieren geübt, nun sollen seine Phantasien endlich an einem Menschen Wirklichkeit werden. Alle Gerätschaften sind vorbereitet, jetzt fehlt nur noch sie ...

Der Andere: Das Ehepaar Paulsberg, mittleren Alters, ist wohlhabend, er ein großer Unternehmer, sie eine erfolgreiche Anwältin. Ein Vorfall bei einem Saunabesuch lässt sie ihre Swingerneigungen erkennen. Ihre Ehe erfährt einen Aufwind, als sie sich regelmäßig andere Männer dazu holen. Doch bei einem Mann verspürt Paulsberg plötzlich heftige Eifersucht ...

Der Koffer:
Bei einer routinemäßigen Autokontrolle entdeckt eine Polizistin bei einem polnischen Fahrer einen Koffer. Der Inhalt: Achtzehn Farbfotokopien von gepfählten Männer- und Frauenleichen. Der polnische Fahrer beteuert, von den Fotos nichts zu wissen - er sei bloß angeheuert worden, im Auftrag eines Geschäftsmannes den Koffer nach Deutschland zu bringen, wo er abgeholt werden soll ...

Verlangen: Sie ist Ehefrau und Mutter, dazu noch wohlhabend, aber sie fühlt sich dennoch leer. Aus einem zwanghaften Verlangen heraus wird sie zur Ladendiebin. Die gestohlenen Gegenstände wirft sie gleich danach weg. Eines Tages wird sie ertappt ...

Schnee:
Ein alter Mann, arbeitslos, verwahrlost und mit einem Alkoholproblem, stellt dem Drogendealer Hassan regelmäßig für Geld seine Küche für Drogengeschäfte zur Verfügung. Die Polizei verhaftet ihn, die Dealer sind allerdings gerade nicht da und er verweigert die Aussage - Hassans schwangere Freundin Jana soll ihr Kind nicht allein bekommen ...

Der Schlüssel:
Frank und sein ziemlich unterbelichteter aber äußerst muskulöser Freund Atris schließen einen Deal um Designerdrogen mit einem Russen ab. Für 250.000 Euro bekommen die beiden Freunde die Pillen. Während Frank das Geschäft in Amsterdam klarmacht, soll Atris zuhause auf Franks Dogge aufpassen. Unglücklicherweise verschlingt der Hund den Schlüssel zu dem Schließfach, in dem sich das Geld befindet ...

Einsam:
Die vierzehnjährige Larissa wird von ihren Eltern vernachlässigt. Als sie wieder einmal allein zuhause ist, kommt Lackner, ein Nachbar und Freund des Vaters, vorbei. Er zerrt das Mädchen in seine Wohnung und vergewaltigt es. Larissa verheimlicht die Vergewaltigung und ignoriert ihre Schwangerschaft - bis das Kind auf der Toilette zur Welt kommt ...

Justiz: Ein Rechtsanwalt wird mit dem Fall des Häftlings Harkan Turan aus Berlin-Moabit beauftragt. Turan wird beschuldigt, beim Ausführen seines Pitbulls einen Mann zusammengeschlagen zu haben. Turan hat aber weder einen Hund noch ist der körperlich dazu in der Lage und beteuert seine Unschuld ...

Ausgleich: Alexandra ist anfangs glücklich in ihrer Ehe mit Thomas - doch schon früh beginnt er sie zu schlagen. Die Misshandlungen führen bis zu Knochenbrüchen, Alexandra muss auf dem Fußboden schlafen. Der freundliche Nachbar Felix ist neben ihrer kleinen Tochter ihr einziger Trost. Felix bedrängt sie, ihren gewalttätigen Mann zu verlassen, doch sie fürchtet um ihre Tochter ...

Geheimnisse: Immer wieder besucht der paranoide Kalkmann die Anwaltskanzlei. er behauptet, er werde von der CIA und vom BKA verfolgt. Beim Optiker habe man ihm schließlich eine Kamera ins Auge montiert. Irgendwann beschließt der Anwalt, ihn zum psychiatrischen Notdienst zu bringen ...

Bewertung:


Ferdinand von Schirach präsentiert nach seinem ersten Band "Verbrechen" erneut wahre Geschichten aus seiner Anwaltszeit. "Wahr" insofern, als dass alle Motive sich so ereignet haben und alle Geschehnisse und Personen in von Schirachs Karriere auftauchten, wenn er die Dinge auch manchmal ein bisschen frei zusammenfügt, wie er in einem Interview erklärte. Der Kern der Geschichten hat sich demnach also so zugetragen, wenngleich gewisse Ausschmückungen, vor allem was Gedankengänge angeht, wohl auf von Schirachs Konto gehen. Gemeinsam haben sie alle, dass sie sich um "Schuld" drehen - um die Schuld von Tätern, die Schuld von Zeugen, von vermeintlichen Opfern aber auch um Schuldgefühle von Schirach und seinen Anwaltskollegen selbst.

Volksfest setzt gleich einen Paukenschlag den den Anfang des Bandes - denn hier geschieht ein Verbrechen, bei dem alle neun Angeklagten straffrei davonkommen. Die junge Frau wird mehrfach vergewaltigt und brutal zusammengeschlagen, Zeugen aber gibt es keine, wegen der Maskierungen kann sie ihre Peiniger nicht identifizieren, die Spurensicherung schlampt. Für von Schirach ist die Verteidigung dieser Männer trotz des Erfolgs keine Ruhmestat und man spürt in den knappen Zeilen, wie sehr solche Fälle einen Rechtsbeistand auf die Probe stellen. DNA ist ein Beispiel dafür, dass einen die Vergangenheit auch noch nach vielen Jahren einholen kann. Die fortschreitenden Entwicklungen der Wissenschaft lassen manches fast vergessenes Verbrechen aufklären. Gleichzeitig ist es eine berührende Geschichte von einem Paar, das wider Willen in einen Todesfall verwickelt wird. Die Illuminaten weckt Assoziationen zu Robert Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß" - jugendliche Internatsschüler, die einen Kameraden regelmäßig körperlich und seelisch quälen. Henrys Schicksal ist tieftraurig, ein von fast allen übersehener Junge, der sich Aufnahme in die dubiose Gemeinschaft der Möchtegernilluminaten wünscht. Alles endet in einem schrecklichen Zwischenfall, der so zwar nicht gewollt war, aber dennoch hätte verhindert werden können und müssen.

Kinder beginnt wie ein Missbrauchsfall, dem man fast täglich in den Medien begegnet; der treusorgende Ehemann, der scheinbar als pädophiler Verbrecher entlarvt wird. Die Geschichte endet aber nicht mit seiner Haftstrafe, sondern fängt da erst richtig an, alles entwickelt sich ein bisschen anders als gedacht und man sieht mal die Seite eines "etwas andere" Opfers. In Anatomie geht das Schicksal einen ganz eigenen Weg, zurück bleibt ein perplexer Leser, er erst einmal verdauen muss, was er da gelesen hat. Hauptperson in der Geschichte ist ein junger Mann mit ausgeprägter psychopathischer Veranlagung. Während er darüber sinniert, wie er schon Vögel, Katzen und Hunde zu Tode gequält hat, freut er sich auf die junge Frau, an der er sein Sezierbesteck ausgiebig testen will. Keine vollen vier Seiten umfasst die Geschichte und doch steckt in ihr so viel Spannung wie in manchem Thriller. Der Andere ist zunächst einmal eine interessante Geschichte über ein Ehepaar, das sich nach langer Ehe zum Swingen entschließt und damit zunächst glücklich ist - doch dann gehen dem Ehemann doch die Gefühle durch. Die zweite Hälfte der Handlung offenbart die Fallstricke der Justiz und zeigt, wie ein solch überraschendes Urteil auf rechtmäßige Weise zustande kommen kann.

Der Koffer gehört sicherlich zu den schockierendsten Beiträgen. Nur durch einen Zufall werden die Fotos von höchstwahrscheinlich echten Leichen entdeckt, die so grausam sind, dass sich die Polizeibeamtin direkt vor Ort übergeben muss. Der polnische Fahrer gibt sich höflich und freundlich, dennoch klingt seine Geschichte seltsam. Allerdings darf man bei dieser Geschichte nicht auf eine völlige Aufklärung hoffen - die meisten Fragen bleiben unbeantwortet und der Leser kann selbst spekulieren, was hinter den Vorgängen steckte. Verlangen ist daher eine der unspektakulärsten Geschichten des Bandes. Sicherlich ist es nicht uninteressant zu lesen, wie eine Frau zur Kleptomanin wird, allerdings geht der Inhalt im Vergleich zu den anderen Beiträgen unter. Schnee ist eine anrührende Geschichte, die weniger ausgefallen als manch anderer Beitrag ist - aber der alte Mann im Gefängnis und die junge schwangere Frau sind trotz der Kürze zwei interessante Figuren und der Schluss hält zwei Pointen bereit. Der Schlüssel ist die längste und eine tragikomische Geschichte voller Wendungen. Atris kann einem trotz seiner Kriminalität beinah leid tun, als der Schlüssel im Magen der Dogge verschwindet und jetzt guter Rat teuer ist. Ein Tierarzt wird konsultiert, für die stationäre OP ist aber keine Zeit, das Abführmittel wirkt auch anders als gedacht und das ist noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Freunde des schwarzen Humors kommen hier ganz auf ihre Kosten.

Einsam ist wiederum ein sehr berührender Fall. es ist nicht leicht zu lesen, wie Larissa erst in die Wohnung entführt wird und selbst eine Nachbarin sich nicht einmischt, weil es sie nichts angeht. Anschließend wird sie gewaltsam entjungfert, verschweigt den Vorfall vor Scham und bringt eigenhändig ein Kind zur Welt - mit fatalen Folgen. Wenigstens endet die Geschichte ansatzweise positiv, was nach all dem Elend erleichternd ist. Justiz ist eine der wenigen eher heiteren Geschichten. Harkan Turan ist ein ziemlich origineller Kauz, der in einen Justizirrtum verwickelt wird, allerdings auch selbst gehörig dazu beiträgt, dass er erst spät aufgeklärt wird. Ausgleich hätte das Potential für einen spannenden Thriller und ist zugleich ein reizvoller Ausnahmefall der Justiz. Die Geschichte mündet in einer recht außergewöhnlichen Richterentscheidung, die aber zeigt, dass auch Justizbeamte nicht frei von Gefühlen in ihren Urteilen sind - und der Leser kann kaum anders, als diesen Fall gutzuheißen. Geheimnisse ist der absolut amüsante Schlusspunkt. Ein Klient, der sich permanent von Agenten verfolgt sieht und hinter allem Ronald Reagan vermutet, der angeblich von Helmut Kohl auf dessen Dachboden versteckt wird, zerrt verständlicherweise an den Nerven - aber die Einweisung verläuft etwas anders als geplant. Sehr witzige Pointe und es ist durchaus erleichternd, gerade zum Ende solch einen Beitrag zu lesen.

Auffällig ist der sehr reduzierter Stil, in dem von Schirach seine Geschichten erzählt - kurze Sätze, nicht stakkatoartig, sondern gleichmäßig, aber fast ausschließlich Hauptsätze, sehr überschaubar. Es ist ein sehr nüchterner Tonfall, erinnert ein bisschen an Autoren wie Hemingway. Dieser Stil ist zunächst gewöhnungsbedürftig, doch schon nach den ersten Seiten ist klar, dass er perfekt zu dem Erzählten passt. Die Wucht des Inhalts wiegt so schwer, dass ein ausschmückender Stil, jedes zusätzliche Wort die Gefahr bergen würde, dass die Aussagen zu pathetisch wirken.

Fazit:

Eine Sammlung sehr unterhaltsamer Geschichten aus einem bewegten Anwaltsleben, die sich anscheinend so oder zumindest so ähnlich wirklich zugetragen haben. Die Geschichten sind teils sehr berührend, schockierend und verstörend, mitunter aber auch witzig und kurios. Der Stil ist in den ersten Minuten gewöhnungsbedürftig, dann aber sehr passend.

Die Ruhe vor dem Sturm - Helena Brink

Produktinfos:

Ausgabe: 2006
Seiten: 687
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Die Autorin:

Helena Brink ist das Pseudonym eines schwedischen Autorenehepaars. 2004 erschien ihr erster Kriminalroman "Der leiseste Verdacht".

Inhalt:

Nach fast fünfzig Jahren Abwesenheit kehrt der nach Amerika ausgewanderte Max Rösling nach Schweden zurück auf den elterlichen Hof. Dort leben noch seine Stiefmutter Gertrud und Max' jüngerer Halbbruder Leif. Die beiden sind nicht nur überrascht von seinem unerwarteten Besuch, sondern auch misstrauisch - sie fürchten zu Recht, dass er nun das väterliche Erbe einfordert.

Max' zweiter Halbbruder Birger ist vor allem verunsichert und phlegmatisch, nur dessen Frau Gunnel freut sich über das Anliegen, denn auch sie will endlich die Erbschaftsangelegenheit klären. Auch Birger soll nach ihrem Willen zu seinem Erbe kommen, er hat aber bisher nicht gewagt, Leif damit zu konfrontieren. Um Max auszuzahlen, verkauft Leif einen der alten Höfe an Kajsa, die mit ihrem Mann und ihrem Sohn schon seit Jahren eines der Sommerhäuser regelmäßig mietet.

Kajsa ist glücklich über den Kauf, auch wenn das Haus stark renoviert werden muss. Beim Aufräumen findet sie Besitztümer und das Tagebuch einer jungen Frau, die vor rund 25 Jahren mit einer Hippie-Clique dort lebte. Kajsa ist neugierig, was aus dem Mädchen geworden ist und will sie finden, doch ihre Forschungen verlaufen im Sande. Dann werden im Moor plötzlich nacheinander zwei Leichen gefunden - ein archäologischer Fund, aber auch eine junge Frau, die vor einigen Jahren starb ...

Bewertung:

Fast 700 Seiten umfasst dieser Schwedenkrimi und es liegt der Verdacht nah, dass es ein gemächliches Werk und kein atemloser Thriller ist - zu Recht. Die Handlung teilt sich in mehrere Stränge auf, die zwar alle zusammenhängen und früher oder später zusammengeführt werden, aber insgesamt ist es doch ein reichlich komplexes Werk.

Recht gut gelungen sind die Charaktere, die allesamt ziemlich verschieden sind. Die interessanteste Figur ist der heimgekehrte Max. Auf den ersten Blick ist er ein freundlicher älterer Mann, der sich gesundheitlich sehr gut hält und seine Familie nicht aggressiv, sondern ganz gemächlich auf die Erbschaftsangelegenheit anspricht. Beim näheren Kennenlernen fallen dann seine seltsamen abwesenden Momente auf, ebenso wie seine Zwiegespräche mit seiner längst verstorbenen Frau Anna, mit der er voller Überzeugung kommuniziert. Max scheint nicht auf Streit aus zu sein, dennoch sorgt sein überraschendes Auftauchen für Unruhe und man ist auf die weitere Entwicklung gespannt. Die quirlige Kajsa ist ein recht liebenswerter Charakter. Endlich hat sie ihren eher vernünftigen Ehemann Olle zum Kauf des stark renovierungsbedürftigen Hauses überredet und das gefundenen Tagebuch stürzt sie in ein Abenteuer.
Der Leser lernt Pia und ihre Hippie-Clique durch Dutzende von Tagebuchaufzeichnungen kennen. Das knapp achtzehnjährige Mädchen klingt zunehmend unglücklicher, die Streitigkeiten in der Clique nehmen zu, die Geldprobleme ebenfalls. Pia und ihre Freunde erleben Kälte und Hunger, von Aussteigeridylle keine Spur mehr. Das Interesse, was mit ihr geschehen sein mag, ist damit geweckt und man verfolgt gerne Kajsas Nachforschungen. Der Zusammenhang der Morde ist zudem reizvoll miteinander verknüpft. Es gibt mehrere Verdächtige, aber nur ganz allmählich gerät Licht in die Angelegenheit, die Auflösung der Hintergründe ist nachvollziehbar und passend.

Das Buch hat jedoch einige Längen, die es dem Leser nicht immer leicht machen, dranzubleiben. Nach rund 300 Seiten taucht die erste Leiche auf - und die entpuppt sich dann als archäologischer Fund, bis sich die Handlung zu einem Mordfall entwickelt, dauert es noch ein paar weitere Seiten. So reizvoll der Handlungsstrang um Max' plötzliches Auftauchen und die familiären Konflikte ist, so sehr ziehen sich manche Passagen in Kajsas Handlungsstrang. Der Umzug nimmt einen breiten Raum ein, ebenso wie ihre vorübergehende Trennung von ihrem Mann und die kurze Affäre mit ihrem bis dato fast väterlichen Freund Petrus. Das alles wird breit ausgewalzt, für ungeduldige Leser vergeht hier das Vergnügen. Ein bisschen unverständlich ist zudem Kajsas extremes Bemühen, nach immerhin 25 Jahren noch Pia zu finden, um ihr das Tagebuch und die (wertlosen) Schmuckstücke zurückzugeben. Ein Verbrechen vermutet sie anfangs noch nicht, trotzdem setzt sie viel in Bewegung, um zu erfahren, was mit dem Mädchen geschehen sein könnte, das Motiv dahinter scheint nicht ganz schlüssig.

Fazit:

Ein insgesamt empfehlenswerter Krimi aus Schweden, der mehrere Handlungsstränge mit interessanten Charakteren bietet. Die Handlung hat allerdings mehrere Längen, für die Ereignisse ist der Roman deutlich zu umfangreich und verliert sich in ablenkenden Details. der Krimiteil kommt auch erst in der zweiten Hälfte so richtig zum Tragen. Kann man lesen, aber man sollte etwas Geduld mitbringen.

Kein Entkommen - Linwood Barclay

Produktinfos:

Ausgabe: 2011
Seiten: 528
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Der Autor:

Linwood Barclay studierte zunächst Literatur und arbeitete als Journalist in Kanada. Er begann eine Krimireihe, die bislang nicht in deutsch übersetzt wurde. 2007 erscheint sein Thriller "Ohne ein Wort", der ihn sofort zum Bestsellerautor machte. Weitere Werke sind "Dem Tode nah" und "In Todesangst".

Inhalt:

Die Harwoods sind scheinbar eine glückliche Familie: David arbeitet als engagierter Journalist, seine Frau Jan als Verkäuferin und der vierjährige Ethan macht das Glück komplett. Seit ein paar Wochen aber fühlt sich Jan zunehmend depressiv und äußert einmal sogar Selbstmordgedanken. Zur gleichen Zeit hat David Stress wegen eines geplanten Artikels über den Bau eines privat finanzierten Gefängnisses, das offenbar nur Profit bringen soll und schlechte Bedingungen für Wärter wie Inhaftierte bedeutet. David liegt das Thema am Herzen, doch in der Redaktion sieht man seine Kritik nicht gern.

Ein Besuch im Vergnügungspark soll David, Jan und Ethan auf andere Gedanken bringen. Plötzlich aber ist Jan spurlos verschwunden. David sucht den Park ab und verständigt den Sicherheitsdienst, jedoch ohne Erfolg. Er befürchtet, dass sich seine Frau etwas angetan hat, die Polizei gibt schließlich eine Fahndung heraus.

Dann aber wendet sich das Blatt: Niemand hat Jan gemeinsam mit David und Ethan im Park gesehen, niemand außer David weiß etwas von ihren angeblichen Depressionen und schließlich gerät David unter Mordverdacht. Verzweifelt versucht er, die Wahrheit herauszufinden - und entdeckt, dass seine Frau offenbar nicht die war, die sie zu sein vorgab ...

Bewertung:


Bereits mit seinem ersten auf deutsch veröffentlichen Werk "Ohne ein Wort" wurde Linwood Barclay hierzulande rasch als neuer Thrillerautor gefeiert und das durchaus zu Recht. Auch "Kein Entkommen" reiht sich ein in seine typischen Werke, die das Leben eines bis dato Durchschnittsbürgers auf den Kopf stellen, voller überraschender Wendungen und mit einem unschuldigen Verdächtigungen.

Die durchgängige Spannung, die trotz des Umfangs keine Längen aufkommen lässt, ist der größte Pluspunkt des Werkes. Kaum dass Jan verschwunden ist, gibt es mehrere Theorien, was mit ihr geschehen sein könnte: Zum einen scheint es möglich, dass sie Selbstmord begangen hat oder sich zumindest für unbestimmte Zeit an einen geheimen Ort flüchtet, um mit ihren Depressionen allein zu sein. Verdächtig sind aber auch Davids hartnäckige Nachforschungen wegen des geplanten Baus des Gefängnisses, mit denen er sich tief in die Nesseln setzt. Seine eigene Chefin unterstützt den Bau und David steht allein auf weiter Flur mit seinem Engagement, trotzdem kommt er den Verantwortlichen für ihren Geschmack viel zu nah. Denkbar ist daher, dass dort jemand hinter Jans Verschwinden steckt, um David nachhaltig zu schaden oder Rache zu üben. Kurz darauf findet David dann auch noch Indizien dafür, dass Jan eine falsche Identität benutzt hat. Er sucht ihre Eltern auf, die sie angeblich schon seit vielen Jahren aus ihrem Leben gestrichen hat - doch deren Tochter Jan ist bereits als Kind ums Leben gekommen. David ist fassungslos, da er nicht versteht, warum seine Jan ihn über all die Jahre belogen hat. Die Spannung wird erneut angezogen, als er ins Visier der Ermittler gerät. Welche Rolle Jan darin spielt, wie und ob David seine Unschuld beweisen kann, warum auch Jans Arbeitskollegin Deanne verschwunden ist und was hinter allem steckt ist eine gut ausgetüftelte Story, die überzeugend erzählt wird.

Die Charaktere sind nicht ausgefeilt, aber doch grundsätzlich gelungen. Etwa die Hälfte des Buches spricht David als Ich-Erzähler, die Szenen aber, in denen er nicht beteiligt ist - vor allem die Ermittlungen von Detective Duckworth - übernimmt ein außenstehender Erzähler. David erscheint rasch sympathisch, vor allem dank seines unermüdlichen Einsatzes für die Zeitung, er ist offenbar ein Reporter, der durchaus Berufsehre kennt und keine unangenehmen Recherchen scheut. Aus einem zuvor glücklichen Familienvater wird im Handumdrehen ein Mordverdächtiger, der damit natürlich auch das Sorgerecht für seinen Sohn zu verlieren droht. Detective Duckworth ist zwar mit seinem Verdacht gegen David auf der falschen Fährte - aber es ist reizvoll, dass auch er nicht unsympathisch ist. Neben dem gelassenen Gemüt von Davids Vater sorgen Duckworth' vergebliche Versuche, den von seiner Frau auferlegten Diätplan zu befolgen, für kleine humorvolle Momente. Duckworth scheint auch ganz zu Anfang David zu glauben, dann aber findet er niemanden sonst in Jans Umfeld, der ihre depressiven Verhaltensweisen bestätigt, keine Überwachungskamera hat sie im Park gefilmt, den Aussagen des vierjährigen Sohnes wird nicht viel Glauben geschenkt. Es ist recht nachvollziehbar, dass Duckworth David verdächtigt und man kann es ihm nicht wirklich übel nehmen.

Zu bemängeln gibt es insgesamt kaum etwas - wenn man keine allzu anspruchsvolle Literatur erwartet, sondern eben vor allem einen Pageturner. An manchen Stellen wirkt Ethan ein bisschen zu unbeteiligt für einen Vierjährigen - er freut sich etwa anfangs sehr auf den Vergnügungspark, im Park selbst ist er dann aber vor allem müde und bekommt kaum etwas mit, etwas seltsam für seine Vorfreude. Vielleicht ist das Ende auch ein kleines bisschen zu dramatisch gestaltet, wie in einem Hollywoodreißer und es ist komisch, dass Duckworth gar nicht in Betracht zieht, dass Jan ihren Arztbesuch wegen der Depressionen nur vorgetäuscht haben könnte - was für einen depressiven, der sein Leiden verbergen oder kleinreden will, ja realistisch wäre. Zudem ahnt man einen Teil von Jans Vergangenheit schon ein bisschen zu früh durch zu auffällige Andeutungen - aber das sind alles nur Kleinigkeiten.

Fazit:


Ein sehr temporeicher und bis zum Schluss spannender Thriller, der sich leicht lesen lässt. Die Charaktere sind nicht sehr ausgefeilt, aber doch überzeugend. Die Handlung ist wendungsreich und frei von Längen, die Schwächen fallen sehr klein aus.

Lilienblut - Elisabeth Herrmann

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 448
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Die Autorin:

Elisabeth Herrmann, geboren 1959, begann erst eine Lehre als Bauzeichnerin und arbeitete dann als Maurerin und Betonbauerin, ehe sie das Abitur nachholte und studierte. Heute ist sie als Fernsehjournalistin für den RBB und als freie Autorin tätig. Gleich mit ihrem ersten Roman "Das Kindermädchen" gelang ihr der Durchbruch. Aus der Krimi-Reihe gibt es inzwischen die Bände "Die siebte Stunde" und "Die letzte Instanz".

Inhalt:

Sabrina Doberstein lebt mit ihrer Mutter, einer Winzerin, im rheinland-pfälzischen Leutesdorf am Rhein. Zu ihrem sechzehnten Geburtstag bekommt sie von der Mutter den Weinberg "Rosenberg" geschenkt, den die Mutter für dreißig Jahre gepachtet hat. Sabrina ist entsetzt statt erfreut, denn sie will auf keinen Fall ihr ganzes Leben an Leutesdorf gebunden sein.

Verständnis findet sie bei ihrer besten Freundin, der achtzehnjährigen Amelie. Amelie ist ganz anders als die schüchterne Sabrina: Sie stammt aus schwierigen Familienverhältnissen, liebt es zu flirten und ist sehr kess. Sabrina bewundert die Freundin und gemeinsam träumen sie davon, auszuwandern und ein neues Leben zu beginnen.

In diesem Sommer lernen die Mädchen den geheimnisvollen Schiffer Kilian kennen, der allein und scheinbar ziellos mit seinem Schiff den Rhein entlang schippert. Sabrina fühlt sich zu ihm hingezogen, doch auch Amelie hat ein Auge auf den Abenteurer geworfen und geht in die Offensive. Nach dem ersten abendlichen Date kehrt Amelie jedoch nicht mehr heim - am nächsten Tag wird ihre Leiche gefunden und Kilians Schiff ist verschwunden ...

Bewertung:

Elisabeth Hermanns erster Jugendthriller ist nicht nur für heranwachsende, sondern auch für erwachsene Leser eine lohnenswerte Lektüre voller Spannung und gelungener Charaktere in einem reizvollen Setting.

Im Mittelpunkt steht die gerade sechzehnjährige Sabrina, ein liebenswertes Mädchen mit typischen Teenagerproblemen, das in ein bewegendes Verbrechen verwickelt wird. Da sind zum einen die Konflikte mit ihrer Mutter: Sabrina versteht sich grundsätzlich gut mit ihr, aber dennoch kommt es in letzter Zeit vermehrt zum Streit. Franziska Doberstein ist eine Winzerin aus Leidenschaft, worüber auch die Ehe vor einigen Jahren zerbrochen ist. Nichts sähe sie lieber, als wenn ihre Tochter dieses Erbe fortführe, aber Sabrina ist unsicher, wie ihr Leben verlaufen soll - tatsächlich in den Weinbetrieb einsteigen, eine Ausbildung machen oder die Schule weiter besuchen und das Abitur probieren? Der Rosenberg soll ein schönes Geburtstagsgeschenk sein, für Sabrina bedeutet er aber nur eine Zwangsverpflichtung für die nächsten dreißig Jahre.

Bei der lebenshungrigen Amelie findet sie Trost - aber ganz leicht ist es in diesem Sommer trotzdem nicht mit ihr. Zum ersten mal stört sich Sabrina daran, dass Amelie wie selbstverständlich jeden Mann, der ihr gefällt, für sich beansprucht. So geht es auch mit dem mysteriösen Kilian, einem neunzehnjährigen Schiffer, der Sabrina auf den ersten Blick fasziniert. Amelie zeigt sich ebenfalls interessiert und das natürlich viel offensiver als die wenig erfahrene Sabrina. Bislang war es für die Jüngere kein Problem, ein bisschen im Schatten der selbstbewussten jungen Frau zu stehen, die gerne mit ihren Reizen spielt und im Ort einen zweifelhaften Ruf genießt. Amelie ist eine charmante Person, bei er man gut nachvollziehen kann, wieso Sabrina sich so zu ihr hingezogen fühlt. Ihre Mutter Wanda ist freundlich, aber ihren beiden Lastern Essen und Fernsehen verfallen, ihr Vater seit vielen Jahren arbeitslos, in Selbstmitleid versunken und Stammgast in der Kneipe. Kein Wunder, dass Amelie von der großen weiten Welt träumt und die unbedarfte Sabrina mit ihren verrückten Ideen ansteckt. Dann ist da noch Kulas Kreutzfelder, Sohn aus reichem Haus, mit dem sich Amelie einlässt und der nach ihrem Tod Interesse an Sabrina zu haben scheint und eben jener undurchschaubare Kilian, der mit dem rostigen Lastkahn den Rhein entlangfährt.

Der Anfang des Romans besticht vor allem durch das Kennenlernen der Charaktere, die Atmosphäre in dem idyllischen Örtchen, dem Reiz der Weinberge und der typisch unbeschwerten Sommerstimmung. Mit dem Mord an Amelie wird aus dem Werk schlagartig ein Krimi mit Thrillerelementen. Der verschwundene Kilian ist der Hauptverdächtige der Polizei, was Sabrina nicht glauben will. Gleichzeitig hofft sie inständig darauf, dass der Mord an ihrer Freundin geklärt wird und wird selbst aktiv. Sie erinnert sich an einen Mordfall vor acht Jahren, in dem ebenfalls eine junge Frau zum Opfer wurde und über den niemand mehr sprechen will. Sie versucht Kilian, an den sie immer noch sehnsüchtig denkt, zu entlasten und forscht zugleich in Amelies Umfeld nach. Dabei sind ihr Lukas und ihre neue Freundin Beate behilflich - aber mit der Zeit kommen ihr auch Zweifel, ob die beiden wirklich so ehrlich zu ihr sind, wie es den Anschein hat. Sabrina gerät durch ihre Nachforschungen selbst in Gefahr und wer der Mörder ist mag man zwar vorher erahnen, endgültige Sicherheit gibt es aber erst auf den letzten Seiten.

Wirkliche Schwachpunkte gibt es in diesem Buch nicht, allerdings ist es nicht ganz realistisch, wie schnell Sabrina ihr Herz an Kilian verschenkt. Sie hat kaum ein paar Worte mit ihm gewechselt und weiß so gut wie gar nichts über ihn und ist dennoch über weite Strecken fest von seiner Unschuld überzeugt. Das erste Zusammentreffen zwischen den beiden, der erste Blickkontakt wird ein bisschen zu kitschig geschildert, was nicht zum sonstigen realistischen Tenor des Romans passt. Überhaupt wirkt Kilian auf den Leser nicht unbedingt so faszinierend wie auf Sabrina, sodass man sich fragt, weshalb sie ihn so vergöttert - ein näheres Kennenlernen vor seinem Verschwinden wäre angebracht gewesen zum besseren Verständnis. Nicht ganz logisch ist außerdem, warum Sabrina so lange damit zögert, ehe sie über den früheren Mord im Internet recherchiert, nachdem sie merkt, dass sie von ihrer Mutter keine Details erfahren wird - aber das sind nur kleine Punkte, die den Gesamteindruck nicht trüben.

Fazit:

Ein atmosphärischer und bis zum Schluss spannender Jugendthriller über Freundschaft, Mord und die erste Liebe, der sich auch für erwachsene Leser eignet. Die Charaktere sind gelungen, vor allem die Protagonistin ist sympathisch, die Handlung ist realistisch und kommt trotz des Umfangs ohne Längen aus.

Urmels toller Traum - Max Kruse

Produktinfos:

Ausgabe: 1974
Seiten: 158 Seiten
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Der Autor:

Max Kruse ist einer der bekanntesten deutschen Kinderbuchautoren. Er wurde 1921 geboren. Seine Mutter ist die Schöpferin der Käthe Kruse Puppen. Seit 1958 widmet er sich der Schriftstellerei. Neben zahlreichen Kinderromanen verfasste er auch Reisebücher über Asien und Ägypten. Weitere bekannte Buchreihen von ihm sind u.a. "Lord Schmetterhemd", "Der Löwe ist los" und "Don Blech". Viele seiner Werke wurden von der Augsburger Puppenkiste verfilmt. http://www.max-kruse-urmel.de/

Vorgeschichte:


Auf der sonnigen Insel Titiwu leben Professor Habakuk Tibatong und sein Ziehjunge Tim Tintenklecks friedlich mit einer Gruppe Tieren, denen der Professor das Sprechen beigebracht hat. Um seinen Forschungen ungestört nachzugehen, hat er sich aus der Stadt Winkelberg auf die Insel zurückgezogen. Fehlerfrei spricht allerdings nur das mütterlich-energische Hausschwein Wutz, alle anderen Tiere besitzen einen kleinen Sprachfehler: Der freche Ping Pinguin, sein bester Freund Wawa, der Waran, der vorlaute Schuhschnabel Schusch, der melancholische See-Elefant Seele-Fant und neuerdings leben auch der Koalabär Babu und der kleine Seehund Albi hier. Eines Tages strandet ein riesiges Ei auf der Insel, aus dem das Urmel schlüpft - ein saurierähnliches Wesen, das die Urzeit überdauert hat. Auch das Urmel lernt sprechen und muss von nun an besonders geschützt werden, damit es niemand einfängt - was schwierig ist, denn das Urmel hat vor allem Unsinn im Kopf. Beinah wäre es vom neugierigen Jagdfreund, dem abgedankten König Pumponell erschossen worden, doch der kam zum Glück zur Besinnung und gehört nun zu den engsten Freunden der Titiwu-Bewohner.

Inhalt:

Professor Tibatong wird zu einem Vortrag seiner ehemaligen Universität eingeladen. Während seiner Abwesenheit will sich Wutz um alle Belange auf der Insel kümmern. Ausgerechnet jetzt wird das Urmel krank. Wutz versorgt es, bis es in einem fiebrigen Schlaf fällt.

Dort erscheint ihm der Traumkobold, der ihm einen Wunsch erfüllen will. Urmel wünscht sich in diesem Traum, ein König zu sein und der Traumkobold verspricht ihm, das möglich zu machen. Urmel verkündet seine Absicht den anderen Bewohnern. Wutz fürchtet, dass das unreife Urmel als König für Chaos sorgen wird und tritt als Gegenkandidatin an.

Urmel gewinnt die Wahl jedoch und ist nun König von Titiwu. Am Anfang finden die anderen das lustig und halten es für ein neues Spiel. An Stelle des Blockhauses steht auf einmal auch ein prächtiges Schloss. Urmel aber wird immer hochnäsiger und entwickelt sich zu einem richtigen Tyrann. Schließlich möchte es eine Prinzessin finden und das Vulkanland Urwapingschu erobern ...

Bewertung:

Auch das Urmelchen wird mal krank und wer kennt sie nicht, diese wilden Fieberträume, in denen alles noch etwas seltsamer abläuft als in normalen Träumen. Urmel lässt sich vorm Einschlafen von Wutz ein Märchen über einen König erzählen und kurz zuvor war noch König "Futsch" Pumponell zu Besuch - kein Wunder also, dass Urmel in seinem Traum selbst König wird.

Die turbulente Handlung ist vor allem sehr witzig, aber auch recht lehrreich. Sobald das Urmel König geworden ist, schlägt es einen befehlenden Ton an. Auf die irritierten Nachfragen seiner Freunde, was denn mit dem versprochenen Spaß nun sei, entgegnet es bestimmend: "Das war vor der Wahl!" So geht es dann auch munter weiter - Urmel-König möchte rundum versorgt werden, kommandiert nach Herzenslust herum und scheut nicht vor dem Versuch zurück, ein fremdes Land zu erobern. Kinder sehen hier auf spielerische Art, wie leicht sich Macht missbrauchen lässt, wie schnell man der Versuchung erliegt. Dem Urmel bekommt dieser Hochmut aber auf Dauer nicht gut, der Traum entwickelt sich zu einem Alptraum und es ist anschließend geheilt vom Wunsch, ein König zu sein. Die kleinen Leser lernen hier, dass keine Macht der Welt es wert ist, seine Freunde zu verlieren.

Daneben ist die Handlung teilweise sehr dramatisch. Auf Urwapingschu lebt nämlich ein Schweinevolk, das sich sehr zu Urmels Ärger gar nicht unterordnen will und von der Monarchie sowieso nichts hält. Urmel kann ihnen gerade noch entkommen als sie rebellieren und zurück nach Titiwu fliegen. Später allerdings kehren die Schweine zurück und Urmels Traum wird zu einem schrecklichen Alptraum auch seine Freunde richten sich gegen ihn, Urmel wird gejagt, auch die schlimmen Erinnerungen, als König Futsch ihn noch mit dem Gewehr verfolgte, baut sein Unterbewusstsein ein. Für die jüngsten Leser ist dieser Band vielleicht etwas zu schaurig an manchen Stellen.

Witzig ist es natürlich auch an etlichen Stellen, allein schon durch die üblichen Streitereien zwischen den Tieren, die alle so grundverschiedene Charaktere haben. Da ist die reinliche und bestimmende Wutz, die sich ungern einem Urmel-König unterordnet, der freche Schusch und der pathetische Seele-Fant, der heimliche Dauerverehrer von Wutz, der sie sehr gerne als Königin gesehen hätte. Für den amüsanten Höhepunkt sorgt aber Urmels Beschluss zu heiraten - und da Wawa als Waran die einzige Kreatur weit und breit ist, die ihm ein bisschen ähnelt, soll er die Braut spielen. Das behagt Wawa wenig, aber eine Wahl hat er nicht und so muss er ertragen, mit einem Brautkleid und einer Schleppe ausstaffiert zu werden. Niedlich ist wiederum Wutz' Schwärmerei für Herrn Mö, das "Oberschwein" auf Urwapingschu, der allerdings mit seinen knappen Kommentaren, der kalten Pfeife im Mund und der Schirmmütze ein recht stoffeliger Charakter ist.

Fazit:

Ein weiterer toller Band aus der Urmel-Reihe, der durch besonders viel Spannung und wie üblich durch Humor und liebenswerte Charaktere besticht. Für die jüngsten Leser ist die Geschichte vielleicht teilweise etwas unheimlich, ansonsten aber absolut empfehlenswert.

Flibutz - Ellis Kaut

Produktinfos:

Ausgabe: 1984
Seiten: 142
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Die Autorin:

Ellis Kaut wurde 1920 geboren. Sie absolvierte eine Schauspielausbildung und ein Studium der Bildhauerei, bis sie 1948 als freie Schriftstellerin tätig wurde und für den Bayerischen Rundfunk Hörspiele schrieb. 1962 startete die Serie um den Kobold Pumuckl, der ihr Lebenswerk wurde. 1965 wurden die Geschichten auch in Buchform veröffentlicht, 1978 ging die populäre TV-Serie mit Hans Clarin als Pumuckls Stimme und Gustl Bayrhammer als Meister Eder an den Start. Ellis Kaut erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihr Schaffen, unter anderem das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Weitere Werke von ihr sind u.a. "Geschichten vom Kater Musch" und "Schlupp vom grünen Stern". www.elliskaut.de

Inhalt:

Flibutz lebt mit dem Ich-Erzähler zusammen und sorgt immer wieder für neuen Wirbel. Wer oder was der Flibutz ist, wird nicht ganz klar - ein Kind, ein Kobold oder ein anderes Wesen? Auf jeden Fall hat Flibutz ständig neue Flausen im Kopf:

Mal wünscht er sich ein Gespenst zur Unterhaltung, dann eine Hexe, dann einen Riesen und schließlich einen Engel. Der Erzähler erfüllt ihm diese Wünsche, die allerdings alle ihre Tücken haben, denn weder Gespenster noch Hexen noch Riesen noch Engel lassen sich so ohne weiteres in den Alltag einfügen.

Ein anderes Mal fürchtet sich Flibutz vor Räubern unter dem Bett, sucht den Windmacher, erfindet eine neue Sprache und stellt allerhand Theorien über das Leben auf. Mit einem Flibutz ist es nicht einfach, aber auch nie langweilig ...

Bewertung:


Mit ihren Pumuckl-Geschichten hat sich Ellis Kaut in die Herzen vieler Kinder geschrieben, dagegen ist der Flibutz geradezu unbekannt. Ein bisschen was vom Pumuckl steckt allerdings auf jeden Fall in dieser Figur. Wer der Flibutz ist, erfährt man das ganze Buch über nicht, aber gerade das macht den besonderen Reiz aus und spornt die Phantasie an. Flibutz benimmt sich oft wie ein Kind, manchmal wird aber auch wie nebenbei erwähnt, dass er davon schwebt oder auf seinen drei Beinen davonläuft - am Ende allerdings wird ebenfalls angedeutet, dass manche Beschreibungen vielleicht geflunkert sind, der Flibutz muss also nicht wirklich ein sonderbares Wesen sein. Die Geschichten um Flibutz sind hübsche Gute-Nacht-Geschichten, die sowohl lehrreich als auch lustig sind.

Besonders gelungen sind seine ausgefallenen Wünsche. Zunächst möchte er gerne ein Gespenst haben, denn er stellt sich diese Gesellschaft lustig und schaurig-schön vor. Kurzerhand wird eine Annonce aufgegeben und tatsächlich bekommen der Erzähler und Flibutz ein günstiges Gespenst, das allerdings nicht mehr ganz sauber ist und bei dem obendrein die Rasselkette fehlt. Das Gespenst entpuppt sich dann als liebenswertes, aber auch etwas zaghaftes Geschöpf. Das Spuken ist nicht sonderlich gruselig und Flibutz hat außerdem nicht bedacht, dass er nachts viel zu müde ist, um die Geisterstunde zu genießen. Also wird das Gespenst gegen eine Hexe eingetauscht, denn Hexenkräfte im Haus stellt sich Flibutz sehr praktisch vor. Tatsächlich bekommen die beiden bald eine Küchenhexe, die allerdings ziemlich schusselig und verschlafen ist. Sie verwechselt ständig die Sprüche und eignet sich weder dazu, essen herbeizuzaubern noch Geschirr sauber zu hexen. Als nächstes wünscht sich Flibutz einen Riesen - einen kleinen Riesen wohlgemerkt, damit er nicht gar zu schwer unterzubringen ist. Ein pensioniertes Ehepaar tritt ihnen ihren mittelgroßen Riesen ab, mit dem Flibutz sofort Freundschaft schließt. Es macht ihm großen Spaß, sich von ihm herumtragen zu lassen und überall in fremde Häuser zu schauen. Leider hat er sanftmütige Riese einen riesenhaften Appetit, was schon nach wenigen Tagen für Probleme sorgt. Und auch ein Engel ist in der Realität nicht der ideale Hausgenosse, wie Flibutz feststellen muss. All diese Episoden sind sehr amüsant und Kinder lernen zugleich, dass es besser ist, auf manche Wünsche zu verzichten, da sie nicht immer so umzusetzen sind, wie man sich das vorstellt.

Flibutz stellt zudem viele Fragen über den Alltag und gibt sich nicht mit der erstbesten Erklärung zufrieden. Woher der Wind kommt, ist zum Beispiel eine Frage, die zwischen Flibutz und dem Erzähler zu einer großen Diskussion führt. Für alle vernünftigen Erklärungen hat er Widerworte parat und schließlich sucht er selbst den Windmacher auf. Ein anderes Mal beharrt er darauf, dass sich bestimmt Räuber unter seinem Bett verstecken und die einzige Möglichkeit, nicht von ihnen überfallen zu werden, darin besteht, selbst einer zu werden. Flibutz' Erklärungen entbehren nicht einer lustigen Logik, sind niedlich und sehr kindgerecht. Dazu gibt es noch ein paar Geschichten, die nicht vom Flibutz handeln, sondern die der Erzähler ihm bzw den Lesern erzählt und die ebenfalls einen märchenhaften Charakter haben. Zu bemängeln gibt es nur wenig an diesem Buch. In einer neuen Auflage wird leider das Geheimnis um sein Aussehen gelüftet und Flibutz sieht demnach wie ein normaler Junge aus - eine recht enttäuschende und desillusionierende Entwicklung. Der andere Punkt ist, dass Eltern sich für Nachfragen der Kinder wappnen sollten, da sicher die Frage aufkommt, wer oder was der Flibutz nun eigentlich ist, was in der ursprünglichen Ausgabe eben nicht erklärt wird. Diese Hintersinnigkeit ist für ältere Leser reizvoll, für Kinder aber vielleicht nicht ganz nachvollziehbar.

Fazit:

Ein schönes Kinderbuch mit vielen märchenhaften Geschichten, die lustig und lehrreich zugleich sind. Der Flibutz ist eine originelle Hauptfigur, obwohl oder gerade weil man nicht viel über ihn und erst recht nicht über sein Aussehen erfährt. Ideal geeignet für Kinder im Grundschulalter.

Teufelsleib - Andreas Franz

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 560
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Der Autor:

Andreas Franz wurde 1956 in Quedlinburg geboren und starb überraschend im Frühjahr 2011. Bevor er sich dem Schreiben widmete, arbeitete er unter anderem als Übersetzer, Schlagzeuger, LKW-Fahrer und kaufmännischer Angestellter. 1996 erschien sein erster Roman. Franz lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt, wo die meisten seiner Krimis spielen. Weitere Werke von ihm sind u. a.: "Jung, blond, tot", "Das achte Opfer", "Der Finger Gottes", "Letale Dosis", "Das Verlies" und "Teuflische Versprechen".

Inhalt:

Peter Brandt rätselt schon seit Monaten über zwei ungeklärte Frauenmorde. Eines der Opfer arbeitete in einem Bordell, die andere als Edelhure, beide führten ein Doppelleben, beide wurden erdrosselt und eine zusätzlich mit Messerstichen traktiert. Im Umfeld der Frauen findet sich kein Verdächtiger, alles sieht nach einem Kunden aus, der ein Prostituiertenhasser ist.

Nicht nur diese Fälle bereiten Brandt Sorgen, sondern auch sein Privatleben. Seine Beziehung zu Staatsanwältin Elvira Klein wäre weitaus unbeschwerter, wären da nicht die ständigen Anfeindungen von Rechtsmedizinerin Andrea Sievers, Brandts Exfreundin und einst Elviras beste Freundin. Dazu kommt, dass Brandt eine erschütternde Nachricht von seiner Kollegin Nicole erfährt.

Dann geschieht ein dritter Mord, erneut an einer Edelhure. Diesmal hinterlässt der Mörder religiöse Symbole: Eine Taube, einen Ölzweig und eine Olive. Zusätzlich wurde das Opfer vor dem Mord stundenlang gequält. Alles deutet darauf hin, dass sich hier Fanatismus und Frauenhass vermischen und der Mörder sein Treiben noch längst nicht beendet hat. Es stellt sich heraus, dass alle drei Frauen Mitglied der Andreas-Kirchengemeinde waren - und ihr Mörder wohl auch dort zu finden ist.

Bewertung:

Peter Brandt, der sympathische Offenbacher Kriminalkommissar, bekommt es mal wieder mit einem kniffligen Fall zu tun, in dem diesmal ein Serienmörder sein Unwesen treibt. Wie so oft bei Andreas Franz spielen in diesem Werk die Abgründe zwischen der reichen Oberschicht und der den Problemen der Unterschicht eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit Brandt taucht der Leser in die dubiose Halbwelt ein und lernt vor allem das Doppelleben von Linda Maurer näher kennen. Vor ihrem Tod wird man ausführlich mit ihr vertraut gemacht und begegnet einer attraktiven, klugen Frau, die sich mit ihrem Körper bereits zur Millionärin gemacht hat. Auch wenn man eigentlich schon weiß, dass auch sie ein Opfer wird, hofft man doch bis zum Schluss, dass sie entkommt. Dem Autor gelingt es recht gut, die Prostitution und insbesondere den Escort-Service weder zu verteufeln noch zu glorifizieren und sowohl den Reiz als auch die Schattenseiten aufzuzeigen. Die Suche nach dem Mörder wird zudem spannend aufgezogen. Anfangs scheint es kaum möglich, ihn zu fassen, da man keine DNA von ihm findet und er offenbar nicht zum engen Kreis der Opfer gehört. Auch dass er zur Andreasgemeinde zählt, ist bei der Fülle an Kirchenmitgliedern noch kein entscheidender Hinweis und die Zeit läuft, denn von selbst wird er seine Mordlust kaum stoppen können.

Bei der Reihe um Peter Brandt ist das Privatleben grundsätzlich etwas mehr im Hintergrund als bei den Büchern um die Kommissarin Julia Durant. Auch hier steht die Mördersuche im Vordergrund, aber dennoch ist auch seine Beziehung zu Elvira Klein präsent. Wer die Reihe verfolgt hat, hat mitbekommen, dass sie beiden sich anfangs offenbar gar nicht ausstehen konnten und sich ständig Dispute lieferten, bis sich daraus Zuneigung und Liebe entwickelte. Die Eifersucht von Andrea Sievers sorgt für zusätzlichen Konfliktstoff, der aber glücklicherweise nie die Krimihandlung übertönt. Es ist hilfreich, wenn man schon frühere Bände gelesen hat, aber nicht zwingend notwendig, da die Beziehungen der Figuren untereinander kurz erklärt werden.
Hochklassig ist das Buch aber dennoch nicht, da sich doch ein paar Schwächen eingeschlichen haben. Wie so häufig in den Romanen von Andreas Franz mischt sich der Erzähler zu sehr moralisierend ein. Hier ist es vor allem im Epilog der Fall, in dem kurz die Ereignisse der nächsten Wochen und Monaten bezüglich des Falls zusammengefasst werden - und in dem die Erzählstimme nur allzu deutlich darauf hinweist, dass sich solche Geschichten wiederholen werden.

Generell wäre bei den Kommentaren weniger manchmal mehr, als beispielsweise Brandt über eine lustige Sache lächeln muss, die für den Leser offensichtlich ist, wird dennoch ein erklärender Kommentar nachgeschoben. Zudem sind die Dialoge teilweise recht hölzern. Das gilt vor allem für die Szene, in der Brandt von Nicoles Krankheit erfährt und ein weiteres Mal, als er wiederum einem Kollegen davon berichtet. Die Betroffenheit, dass Nicole vielleicht schon in wenigen Monaten sterben muss, kommt nicht deutlich genug raus, die Szene ist zu nüchtern.

Fazit:


Ein leicht überdurchschnittlicher Krimi aus der Peter-Brandt-Reihe, der sich um einen Serienmörder im Rotlichtmilieu dreht. Das Buch lässt sich leicht lesen und ist unterhaltsam, wenngleich kein hochklassiger Krimi.

Die Tote im Keller - Helene Tursten

Produktinfos:

Ausgabe: 2007
Seiten: 320
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Die Autorin:

Helene Tursten, geboren 1954 in Göteborg, arbeitete bis zu ihrem 40. Lebensjahr als Zahnärztin und Krankenschwester. Wegen einer rheumatischen Erkrankung musste sie ihren Beruf aufgeben und widmet sich seitdem hauptberuflich dem Schreiben. Zu ihren Werken gehören u.a. "Der Novembermörder", "Der zweite Mord", "Tod im Pfarrhaus" und "Der erste Verdacht".

Inhalt:

Winter in Göteborg: Zwei Unbekannte flüchten in einem gestohlenen Wagen und überfahren dabei einen Spaziergänger, der sofort tot ist. Der Verstorbene ist ausgerechnet ein pensionierter Polizist, der stille Torleif Sandberg, den manche aus dem Kollegium noch kennen. Das Auto wird bald darauf gefunden, die Diebe sind flüchtig.

Bei der Durchsuchung eines Kellers in des abgestellten Autos findet die Polizei jedoch eine Mädchenleiche. Das unterernährte, erwürgte Mädchen litt an einer Geschlechtskrankheit und war offenbar eine Zwangsprostituierte. Während sich ein Teil der Kollegen auf die Suche nach den Autodieben macht, sucht Kriminalinspektorin Irene Huss nach dem Mörder des Mädchens.

Sie stößt dabei auf einen Ring organisierten Menschenhandels, der osteuropäische Mädchen verschleppt und als Prostituierte arbeiten lässt. Die Ermittlungen führen Irene schließlich bis nach Teneriffa. Gleichzeitig gilt es, die die flüchtigen Autodiebe zu suchen, die den Kollegen auf dem Gewissen haben. Die Ermittler vermuten Zusammenhänge und mindestens ein weiteres Mädchen ist noch in der Gewalt der Täter ...

Bewertung:

Irene Huss, die sympathische Kriminalinspektorin aus Göteborg, bekommt es in diesem Band gleich mit zwei Fällen zu tun, die möglicherweise auf irgendeine Weise miteinander verknüpft sind. Nur durch Zufall wird die Leiche des erwürgten Mädchens gefunden und aus dem Fahrerflucht-mit-Todesfolge-Fall entsteht ein Mordfall. Das sensible Thema um Zwangsprostitution wird nicht effektheischend umgesetzt, die Hintergründe bewegen, auch wenn man kaum etwas aus dem Leben des verstorbenen Mädchens erfährt. Auch den Ermittlern geht das Schicksal des toten Mädchens sichtlich an die Nieren und man wird dadurch besonders an die Handlung gefesselt - wer sind die Hintermänner, die für dieses grausame Szenario verantwortlich sind und wie schaffen die Kripo-Beamten es, sie zu fassen, sind die wichtigsten Fragen.
Scheinbar zusammenhanglos ist der Fahrerflucht-Fall, bei dem ausgerechnet ein ehemaliger Polizist, den einige aus dem Kollegium noch kennen, getötet wird. Für Irene Huss und ihr Team ist es daher ein besonders großes Anliegen, die Umstände zu klären.

Dazu nehmen sie auch Kontakt mit dem Sohn des Opfers auf, der ihnen eine etwas andere Seite des zurückhaltenden, Müsli-liebenden Kollegen andeutet. Dabei wird allen nach und nach klar, wie wenig man manchmal über seine Kollegen weiß und es zeigt sich, dass die beiden Todesfälle gar nicht so zufällig sind wie anfangs vermutet. Das Privatleben von Irene Huss spielt eine etwas größere Rolle als in anderen Bänden - von der alten kranken Mutter über die Krebserkrankung des geliebten Familienhundes bis hin zum Erwachsenwerden der Zwillingstöchter. Weiterhin erleidet ihre gute Kollegin Birgitta eine Fehlgeburt, die alle im Kollegium betroffen macht und gleichzeitig für einen Engpass im Team sorgt, da auch ihr Mann als Teamkollege zurücktreten muss.

Dennoch ist der Roman kein Highlight innerhalb der Reihe. Störend ist vor allem eine Zwischensequenz, in der Irene Huss nach Teneriffa reist, um die dortigen Kollegen zu unterstützen - denn es scheint eine Verbindung zwischen Morden dort und dem Menschenhandel in Schweden zu geben. Irene gerät dort in eine höchst brenzlige Situation, trotzdem wirkt dieser Einschub im Grunde unnötig - die Handlung hätte auch ohne diesen Ausflug nach Teneriffa und die Schwierigkeiten mit den Beamten vor Ort sowie den mafiösen Strukturen geführt werden können. Für zusätzliche Brisanz und Spannung sorgt diese Sequenz nur ganz zu Anfang, im Gesamtkontext stört dieses Exkurs eher und wirkt unnötig aufgebauscht, als habe die Handlung in Göteborg allein nicht genug hergegeben. Das Privatleben der Ermittlerin ist ein bisschen zu ausführlich - die Schicksalsschläge innerhalb der Familie lenken ein bisschen von der eigentlichen Handlung ab. Das Ende ahnt der Leser dann ein paar Seiten zu früh.

Fazit:

Ein guter Krimi um Irene Huss, aber es gibt in der Reihe bessere. Die Geschichte ist teilweise bewegend und über weite Strecken spannend, eine Zwischensequenz auf Teneriffa passt aber gar nicht in die Handlung, das Privatleben der Ermittlerin ist etwas zu dominant und den Täter erahnt an etwas zu früh. Gute Krimikost, aber kein Highlight.

Blinder Instinkt - Andreas Winkelmann

Produktinfos:

Ausgabe: 2011
Seiten: 416 Seiten
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Der Autor:

Andreas Winkelmann, Jahrgang 1968, arbeitete unter anderem als Sportlehrer, Ausbilder bei der Armee und Taxifahrer, interessierte sich aber bereits als Jugendlicher fürs Schreiben und besonders für unheimliche Literatur. 2010 erschien sein neuer Roman "Hänschen klein". Mehr über den Autor auf seiner Homepage www.andreaswinkelmann.com.

Inhalt:

Aus einem Heim für behinderte Kinder verschwindet in der Nacht die achtjährige Sarah. Sarah ist von Geburt an blind, es scheint ausgeschlossen, dass sie fortgelaufen ist. Kommissarin Franziska Gottlob übernimmt die Ermittlungen und findet schnell Indizien für eine Entführung.

Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf einen ähnlichen Fall vor zehn Jahren: Damals verschwand die kleine Sina. Wie Sarah war sie rothaarig, acht Jahre alt und Geburt an blind. Ihr Schicksal wurde nie geklärt. Franziska trifft sich mit Sinas älterem Bruder. Max Ungemach ist gerade amtierender Box-Europameister im Schwergewicht. Max hat das Verschwinden seiner Schwester nie verwunden und gibt sich noch heute die Schuld.

Franziska glaubt, dass hinter beiden Entführungen der gleiche Täter steckt. Sie durchforstet das Umfeld des Heims und hofft auf Verdächtige unter dem Personal. Unterdessen versucht auch Max, nach all den Jahren wieder Licht in das Verschwinden seiner Schwester zu bekommen. Während sich die beiden auch privat näher kommen, geraten sie auf die Spur eines perfiden Täters, der die Jagd liebt und für sein krankes Spiel ein neues Opfer gesucht hat ...

Bewertung:

Nach "Tief im Wald und unter der Erde" und "Hänschen klein" legt Andreas Winkelmann hier seinen dritten Thriller vor, der sich grob an den beiden Vorgängerwerken orientiert: Ein psychopathischer Mörder, der Spaß an Katz-und-Maus-Spielen hat.

Der Leser bekommt dabei drei verschiedene Handlungsstränge präsentiert, die sich abwechseln: Einmal Franziska Gottlob und ihre Ermittlungen, einmal Max Ungemach, der wieder das Trauma von damals erlebt und einmal der Täter, der zwar lange namenlos bleibt, über den man aber einiges erfährt. Der Leser erlebt das elterliche Umfeld des Täters, das wie so oft erheblich zu seinem Werdegang beigetragen hat. Die dominante, ewig besserwisserische Mutter, die ihren längst erwachsenen Sohn immer noch wie ein Kind behandelt und bevormundet - originell ist sie nicht unbedingt, aber dennoch mehr als ein bloßes Klischee und nicht zu übertrieben, als dass sie unrealistisch wäre. Mitleid verspürt man mit dem Tätern zwar nicht, aber sein Ekel und seine Entfremdung gegenüber den Eltern ist nachvollziehbar. Originell ist dafür sein Motiv. Der Leser bekommt es nicht einfach mit einem gewöhnlichen Triebtäter zu tun. Stattdessen ist er fasziniert von exotischen, giftigen Tieren wie Spinnen und Schlangen - und an ihrem Jagdverhalten, für das nicht nur Wühlmäuse, sondern auch kleine blinde Mädchen als Beute herhalten sollen ...

Franziska Gottlob ist keine sonderlich charismatische Ermittlerin, aber doch eine sympathische Figur. Ihr Privatleben ist durchaus Thema, zum einen natürlich dank der Annäherung mit Max Ungemach, zum anderen wegen ihres krebskranken Vaters. Beides nimmt aber einen angenehm ausgewogenen Raum innerhalb der Handlung ein und lenkt nie vom Thrillerteil ab. Gelungen erscheinen auch die Gedankengänge der blinden Sarah und die der vermissten Sina in der Rückblende, die einen kleinen Einblick in die Welt eines Blinden vermitteln. Max Ungemach, der Hüne mit dem weichen Kern, ist die vielleicht stärkste Figur des Romans. Auch sein Elternhaus wird beleuchtet, seine Vergangenheit, in der Sinas Verschwinden zwar der schreckliche Höhepunkt war, aber mitnichten der einzige schlimme Punkt.

Spannung ist gegeben, zum einen durch die Frage, was mit Sarah geschieht und ob sie gerettet wird, aber auch ob sich Sinas Schicksal klärt und wie der Täter mit dem Heim in Verbindung steht. Ein bisschen schwach ist jedoch die Konstruktion des Finales, etwas zu einfach kommen sowohl Franziska als auch Max auf die Spur des Täters, da wäre etwas Raffinesse wirklich schön gewesen. Auch ist Franziskas Kripo-Partner sehr blass geblieben, nachdem er anfangs zumindest noch ein paar Szenen hatte. Von der leicht zu lesenden Sprache darf man sich keinen besonderen Feinschliff erwarten, es ist eben leichte Kost. Das Ende ist für manch hartgesottenen Thrillerkenner vielleicht einen Hauch zu weichgespült - aber insgesamt bleibt ein durchaus lesenswerter Thriller zurück.

Fazit:


Ein solider bis guter Thriller mit interessanter Thematik, der spannend und kurzweilig geschrieben ist. Die Charaktere überzeugen insgesamt, auch wenn manche etwas blass bleiben. Ein paar Schwächen gibt es, trotzdem eine Empfehlung für Thrillerfreunde, die solide Lesekost suchen.

Befleckt - Brooke Morgan

Produktdetails:

Ausgabe: 2010
Seiten: 448 Seiten
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Die Autorin:

Brooke Morgan wurde in England geboren und lebt heute mit ihrer Familie in den USA. "Befleckt" war ihr Debütroman, der gleich erfolgreich wurde. Mit "Vertrau mir nicht" legte sie einen weiteren Psychothriller vor.

Inhalt:

Die alleinerziehende dreiundzwanzigjährige Holly hat es nicht leicht: Mit achtzehn bekam sie ihre Tochter Katy, Vater war der unerreichbare Schwarm Billy, der seit der Schwangerschaft kein Wort mehr mit ihr sprach. Wenig später starben auch noch Hollys Eltern. Neben ihrer geliebten Tochter ist nun nur noch ihr Großvater Henry ihr ganzer Halt.

Auf einer Busfahrt lernt Holly zufällig den attraktiven Jack Dane kennen, der eine Arbeit in ihrem Heimatort auf Cape Cod anfängt. Sie ist überglücklich, als er sie kurz darauf einlädt und sie ein Paar werden und schon nach sechs Wochen heiraten - trotz seiner anfänglichen Bedenken wegen ihrer Tochter. Auch Hollys Großvater Henry ist von Jack angetan und Katy akzeptiert ihn sofort als Stiefvater. Nur Katys leiblicher Vater Billy, der nun urplötzlich erstmals Kontakt sucht, hat Vorbehalte.

Holly will sich ihr Glück nicht nehmen lassen. Allerdings reagiert Jack unerklärlich abweisend, wenn man ihn nach seiner Vergangenheit in England fragt. Er scheint keine weiteren Freunde oder Bekannte zu haben. Katys Weinen macht ihn oft sehr nervös und er holt sie manchmal nachts aus dem Bett, um mit ihr Ball zu spielen. Langsam wird nun auch Henry misstrauisch, ob Jack etwas zu verbergen hat ...

Bewertung:

Obgleich ein Debütroman bringt Brooke Morgans Psychothriller direkt fast alles mit, was ein Werk dieses Genres braucht: Eine Protagonistin, mit der man mitfühlt, ein Psychopath, der nur sehr langsam sein wahres Wesen offenbart, ein ganz allmähliches Abgleiten von einer Idylle hin zur Katastrophe.

Im Mittelpunkt steht die junge Holly, die bereits einige Schicksalsschläge hinnehmen musste: Als Mädchen war sie eine schüchterne Außenseiterin, ihre einzige Freundin die lebenslustige Anna. Anna wurde dann auch prompt die Freundin von Hollys Schulschwarm Billy, der sich nach Beziehungsende auf einen One Night Stand am Strand einließ, um Anna eifersüchtig zu machen. Kaum dass er von der ungeplanten Schwangerschaft erfuhr, verschwand er aus Hollys Leben, die, selbst noch ein Teenager, eine ganz neue Verantwortung übernehmen musste. Keine zwei Jahre später stirbt ihr Vater und verunglückt ihre verzweifelte Mutter drei Tage darauf bei einem Autounfall. Großmutter Isabelle ist bereits verstorben, so bleiben ihr nur die kleine Katy, der besonnene Großvater Henry und Familienhund Bones. Holly lebt ein durchaus glückliches, aber einsames Leben, mit nur Anna in der Großstadt als einzigem außerfamiliären Kontakt. Ihre einzige Erfahrung mit Männern ist Billy, eine Beziehung hat sie nie geführt - zu abschreckend scheint für junge Männer der Gedanke, sich auf eine alleinerziehende Mutter mit fünfjähriger Tochter einzulassen. Da ist der smarte Jack Dane ein Glücksgriff, den Holly keinesfalls wieder verlieren will. Auch er reagiert abweisend, als er nach dem ersten Date von Katy erfährt, doch Henry gelingt es, Jacks Meinung zu ändern. Holly schwebt im Glück, Jack scheint der perfekte Stiefvater und es ist sehr gut nachzuvollziehen, dass sie später über die ersten aufziehenden Schatten hinwegsieht - zu groß ist ihre Angst, das unverhoffte Glück wieder zu verlieren.

Zunächst ist auch Henry von Jack begeistert und sieht in ihm den perfekten Mann für seine Enkelin und Ersatzvater für seine Urenkelin. Nur Billy, der plötzlich zum ersten Mal Interesse an seiner Tochter zeigt und sich Kontakt wünscht, begegnet Jack misstrauisch - doch verständlicherweise wird das als bloße Eifersucht interpretiert. Dann fallen auch Henry einzelne Züge auf, die er an Jack nicht gerne sieht, ebenso Hollys Freundin Anna: Wenn er das Mädchen nachts zum Strand nimmt, um Ball zu spielen, wenn er sie ebenfalls nachts heimlich Autofahren lässt. Missbrauchsgedanken können schnell abgelegt werden - doch in jedem Fall hat Jack offenbar seltsame Vorstellungen von Erziehung und ein ambivalentes Verhältnis zu kleinen Mädchen. Warum reagiert er so nervös auf Katys Weinen und verlässt daraufhin wütend das Haus? Warum hat er in seinem Handy nur einen einzigen Fremdkontakt - und den zu einer englischen Nummer in England, deren Inhaberin aber auf Billys Nachfrage vehement leugnet, Jack zu kennen? Warum reagiert der Direktor seiner ehemaligen Schule abweisend auf jegliche Nachfrage zu Jack? Dass etwas nicht stimmt mit Jack, ist recht früh klar, aber was sich dahinter verbirgt, kann zunächst alles Mögliche sein, was für durchgängige Spannung sorgt. Für dichte Atmosphäre sorgt auch der malerische Schauplatz Cape Cod mit der rauen Natur, der Küste, dem Charme alter Fischerdörfer.

Die Auflösung geht zwar in eine Richtung, die der Leser durchaus schon etwas erahnen konnte. Dennoch ist der Hintergrund zu Jacks Verhalten sicher nicht zu vorhersehbar. Zu bemängeln gibt es daher nicht viel, allerdings verrät sich Jack durch zwei unbedachte Äußerungen selbst, es ist nicht ganz realistisch, dass er diese Dinge preisgibt ohne zu ahnen, dass man ihm dadurch in Zeiten von Google und Co. leicht auf die Schliche kommt. Der andere Punkt ist, dass er im letzten Teil eine Spur nicht verwischt, obwohl das nur eine Sache von Sekunden wäre und er hier sehr leichtsinnig vorgeht. Das macht es wiederum für andere zu einfach, hinter sein Geheimnis zu kommen. Nachdem er anfangs alles sorgfältig verborgen hat, wird die Enthüllung am Schluss zu schnell und konstruiert vorangetrieben, auch wenn es nicht stark ins Gewicht fällt.

Fazit:

Ein empfehlenswerter Psychothriller, der mit einer dichten Atmosphäre, einer überzeugenden Hauptfigur und einer spannenden Handlung punkten kann. Nur gegen Ende gibt es zwei, drei Stellen, an denen es zu einfach gemacht wird, die Auflösung voranzutreiben.

28. Juni 2012

Das Schloss des weißen Lindwurms - Bram Stoker

Produktinfos:

Ausgabe: 2009
Länge: 65 Minuten
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Der Autor:

Bram Stoker wurde 1847 in Dublin geboren und starb 1912 in London. Außer als Schriftsteller arbeitete er u. a. als Journalist und Theaterkritiker. Sein mit großem Abstand bekanntestes Werk ist der Vampirroman "Dracula", der eines der berühmtesten Horrorwerke aller Zeiten ist. Daneben verfasste er noch eine Reihe weiterer Romane und Kurzgeschichten, ehe er frühzeitig starb und den großen Ruhm nicht mehr erlebte.

Inhalt:


England 1860: Der junge Australier Adam Stanton wird von seinem letzten lebenden Verwandten auf dessen Landsitz in Mittelengland eingeladen. Erfreut tritt er die weite Reise an mit dem Ziel, in England sein weiteres Leben zu verbringen. Der alte Mann und sein Großneffe verstehen sich auf Anhieb gut, Adam ist für Richard Salton der Sohn, den er nie gehabt hat. Der älteste Freund des Großonkels, Sir Nathaniel de Salis, führt Adam durch die Gegend und erzählt von der Geschichte der Region.

In der Nähe liegt das Anwesen von Arabella March, Herrin auf Diana's Grove, das auch als "Schloss des weißen Lindwurms" bekannt ist. Als die beiden ihr begegnen, ist Adam sofort von ihrer Schönheit fasziniert. Doch Sir Nathaniel warnt ihn, dass Arabella keinen guten Ruf genießt und er sich lieber von ihr fernhalten soll. Sie ist nicht nur hoch verschuldet, sondern auch noch unter mysteriösen Umständen verwitwet, nachdem ihr Mann wenige Wochen nach der Hochzeit von den Klippen stürzte.

Umso erfreulicher ist die Bekanntschaft mit der hübschen jungen Mimi Wetford, in die sich Adam rasch verliebt - und sie scheint seine Gefühle zu erwidern. Am gleichen Tag wie Adam hält auch Edgar Caswell nach langem Aufenthalt in Afrika Einkehr auf dem Nachbargut Casta Regis, dem größten Anwesen der Region. Alle Caswells waren bekannt für ihre düstere Art, sogar hypnotische Kräfte werden ihnen nachgesagt. Tatsächlich ist Edgar auch Adam sofort unsympathisch, erst recht, als er Mimi bedrängt. Sowohl Lady Arabella als auch Edgar Caswell sind Adam mehr als unheimlich. Was geht in dem abgelegenen Schloss vor ...?

Bewertung:

Nach "Das Amulett der Mumie", "Draculas Gast" und "Dracula" ist diese Folge das vierte Werk von Bram Stoker, dessen sich die Macher des Gruselkabinetts angenommen haben.

Atmosphäre und Spannung

Den Ich-Erzähler Adam Salton schließt der Hörer sehr schnell ins Herz. Er präsentiert sich sympathischer junger Mann, höflich und gebildet, ohne dabei ein Langweiler zu sein. Besonders charmant ist sein ungewöhnlicher Begleiter, ein zahmer Mungo namens Mr. Bagels, der geschickt jede Schlange erlegt. Adams Großonkel ist genauso liebenswert, ein netterer älterer Herr, der überglücklich ist, dass sein herbeigesehnter Neffe ganz dem Bild entspricht, das er sich von ihm gemacht hat. Nett inszeniert ist die etwas unbeholfene Art, in er sich Adam Mimi annähert und ihr den Hof macht. Mit Lady Arabella und Edgar Caswell gibt es gleich zwei düstere Charaktere, von denen Unheil ausgeht und die eine potenzielle Bedrohung bedeuten, besonders für das junge Paar Adam und Mimi. Es gibt zunächst keine handfesten Beweise gegen sie, weder dass in Arabellas Schloss unheimliche Dinge vorgehen noch dass Edgar Caswell wirklich hypnotisieren kann - aber Adam spürt, dass man keinem von beiden trauen darf und die vielen dunklen Gerüchte ihre Berechtigung haben. Im Schloss macht er dann eine dramatische Entdeckung, die gut inszeniert wird, ohne dabei plakativ zu wirken. Sir Nathaniels Beschreibungen lassen vor dem Auge des Hörers eine wild-romantische Landschaft entstehen, die nicht nur äußerlich reizvoll ist, sondern auch durch ihre bewegte Vergangenheit und die zahlreichen Mythen, die sich um die Gegend ranken, prädestiniert ist für Abenteuer. Dadurch wird auch die Bedeutung des Prologs klar, die zuvor im Dunkeln lag.

Sehr gute Sprecher

Die Besetzung wurde grundsätzlich wie üblich in der Reihe sehr gut gewählt. Markus Pfeiffer überzeugt als Adam und verleiht ihm den frischen, aufgeweckten und etwas unerfahrenen Charakter, der zu der Figur gehört. Im Synchronbereich hat er unter anderem bereits Adrien Brody und Colin Farrell seine Stimme geliehen. Sehr sympathisch klingt auch Hasso Zorn als sein Großonkel. Seine etwas raue Stimme ist die eines älteren, schon etwas gebrechlichen Mannes, dabei aber sehr warm und bedächtig, wie es zu Richard Saltons Wesen passt. Joachim Pukaß ist ohne Zweifel immer ein Highlight. In den Serien Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen sprach er immer wieder verschiedene Nebenfiguren, gerne auch die etwas abgedrehteren Charaktere. Als Sir Nathaniel de Salis überzeugt er wiederum durch souveränes, seriöses Auftreten und macht die Figur zu einem Sympathieträger, der sich ideal in das Dreiergespann mit Adam und Richard Salton einfügt. Melanie Hinze passt mit ihrer sehr jungen, unschuldig klingenden Stimme in die Rolle der harmlosen Mimi Wetford, während Katja Nottke ihrer Lady Arabella eine gelungene Mischung aus Verführung und Boshaftigkeit verleiht. David Nathan, Sprecher von Johnny Depp und Christian Bale, ist hier etwas unüblich eingesetzt als diabolischer Edgar Caswell, spricht er in der Reihe doch sonst eher heldenhafte Figuren.

Ein paar Schwächen

Auffallend ist vor allem, dass die Folge deutlich weniger unheimlich ist als manch andere aus der Reihe. Über weite Strecken hinweg ist die Geschichte eher romantisch, die Dramatik kommt erst ganz zum Schluss - und ganz zu Anfang, als man die Schreie einer gefangenen Frau hört. Doch anstatt daran anzuknüpfen und auf einen solchen Höhepunkt hinzusteuern, wird das Gruselpotenzial der Handlung verschenkt. Auch der Lindwurm spielt eine sehr viel geringere Rolle, als man vom Titel her vermutet - wer einen Drachenkampf à la Siegfried erwartet, wird auf jeden Fall enttäuscht werden. Zudem verläuft der Anfang etwas zu schnell. Es wird weder geklärt, wie lange Adam und sein Großonkel brieflich in Kontakt standen, ehe er zu ihm reiste, noch warum es Adam offenbar so leicht fiel, einfach ohne Zögern zu einem fremden Verwandten auf einen anderen Kontinent zu ziehen. Wenigstens ein paar Sätze zu dieser etwas unrealistischen Situation hätte Ich-Erzähler Adam verwenden können. Zu guter Letzt ist es auch schade, dass das Finale etwas konstruiert abläuft und von äußeren Begebenheiten abhängt. "Das kann kein Zufall sein", meint Adam dazu und sieht es als Schicksal an, den Hörer befriedigt dies aber natürlich nicht so sehr, wenn ein Plan nicht allein von den Beteiligten abhängt.

Fazit:

Eine gute, wenn auch nicht überragende Folge aus der Gruselkabinett-Reihe mit wild-romantischer Atmosphäre und sehr guten Sprechern. Kleine Abzüge gibt es für etwas zu kurz geratene Stellen und den geringen Gruselanteil. Damit unterm Strich keine der besten Folgen der Serie, aber auf alle Fälle einen Kauf wert.

Sprechernamen:

Adam Salton: M. Pfeiffer
Richard Salton: H. Zorn
Sir Nathaniel de Salis: J. Pukaß
Mimi Wetford: M. Hinze
Arabella March: K. Nottke
Edgar Caswell: D. Nathan

Die obere Koje - Francis Marion Crawford

Produktinfos:

Ausgabe: 2009
Länge: 65 Minuten
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Der Autor:

Francis Marion Crawford wurde 1854 in Italien als Sohn amerikanischer Eltern geboren. Sein Studium führte ihn u. a. an die Universitäten von Heidelberg, Rom und Harvard. 1882 erschien sein erster Roman, der sofort ein Erfolg wurde. Im Laufe seiner Karriere verfasste er mehr als 40 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten, die oft in Italien angesiedelt sind, wo er auch 1909 verstarb. Zu seinen Werken gehören u.a. "Mr Isaacs", "Khaled" und "Saracinesca".

Inhalt:


1899: Der junge Reisende Aldous Brisbane freut sich auf seine Fahrt mit dem Passagierdampfer Kamtschatka nach New York. Ihm wird die untere Koje in Kabine 105 zugeteilt, was beim Stewart leichtes Entsetzen hervorruft. Brisbane denkt sich zunächst nichts dabei, auch wenn es in der Kabine unangenehm nach Meerwasser riecht. Erst mitten in der Nacht erscheint sein Kabinengenosse, der nicht mit ihm spricht und sich in die obere Koje zurückzieht.

Wenig später wird Brisbane durch seltsames Stöhnen geweckt. Sein Mitreisender scheint seekrank zu sein und gibt ein furchtbares Röcheln von sich. Brisbane spricht ihn an, doch der Vorhang zur oberen Koje bleibt geschlossen. Als Brisbane morgens erwacht, steht zu seiner Empörung das Bullauge weit offen - eine gefährliche Nachlässigkeit auf See, die ihn sehr verärgert. Auf Deck lernt er den Schiffsarzt Hollows kennen, der gar nicht überrascht reagiert auf seinen Bericht. Stattdessen bietet er Brisbane an, für den Rest der Fahrt in seiner Kabine zu wohnen. Brisbane aber lehnt das gut gemeinte Angebot freundlich ab und will der Sache allein auf den Grund gehen.

Von Stewart und Kapitän erfährt er schließlich, dass es in Kabine 105 nicht geheuer sei. Niemand vermag es, das Bullauge dauerhaft zu verschließen, das sich immer wie von Geisterhand öffnet. Auf den letzten Fahrten hat sich jeder Reisende aus der Kabine ins Meer gestürzt. Auch Brisbanes Kabinengenosse aus der oberen Koje ist verschwunden. Inständig drängt der Kapitän darauf, dass er die Kabine verlässt. Doch Brisbane bleibt hartnäckig und will überprüfen, ob wirklich ein Gespenst am Werk ist ...

Bewertung:


Eine der zahlreichen unheimlichen Geschichten aus der Feder von Francis Marion Crawford lieferte den Hintergrund für diese gelungene Hörspieladaption, die bereits die 34. Folge der "Gruselkabinett"-Reihe aus dem Hause Titania Medien ist.

Spannung und Atmosphäre mit überzeugenden Charakteren

Die Seefahrt gehört zu den beliebtesten Motiven der unheimlichen Literatur - kein Wunder, denn das Wasser ist per se schon ein gefährliches Element, dem der Mensch bei Unwetter leicht hilflos ausgeliefert ist. Dazu kommen die Abgeschiedenheit auf Meer und die umfangreiche Seemannsgarntradition, die viele unheimliche Gestalten in ihrem Repertoire hat. Den Machern der Serie gelingt es sehr gut, die beklemmende Stimmung an Bord einzufangen und wiederzugeben.

Dabei steigert sich die Spannung ganz allmählich. Anfangs ist es nur die merkwürdige Reaktion des Stewarts auf die Kabinennummer, die auch Brisbane stutzen lässt. Das Verhalten seines Kabinengenossen schiebt er auf Seekrankheit, das offene Fenster auf Nachlässigkeit. Erst als sich zeigt, dass sich das Fenster durch keinerlei Vorkehrungen für länger als eine halbe Stunde verschließen lässt, wird deutlich, dass hier übernatürliche Mächte am Werk sind. Es braucht eine Weile, bis der Geist tatsächlich in Aktion erscheint, aber gerade dieser langsame Aufbau tut der Geschichte gut. Da Brisbane die Geschichte als Ich-Erzähler einleitet ist, von Beginn an klar, dass er das Erlebnis überlebt hat - trotzdem verfolgt man gebannt, wie sich das Geschehen an Bord entwickelt, ob es auch diesmal Tote geben wird und wie sich Brisbane und der Kapitän dem Gespenst widersetzen. Das Geistwesen tritt persönlich erst recht spät in Erscheinung, sorgt dafür aber für ein paar beklemmende und dramatische Momente.

Ein großer Pluspunkt sind auch die Figuren, denen in diesem Kammerspiel-Szenario große Bedeutung zukommt. Im Mittelpunkt steht Aldous Brisbane, der so gar nicht an Gespenster glaubt und sehr ärgerlich auf die Erzählungen vom angeblichen Spuk reagiert. Brisbane ist ein klassischer Zweifler, der für alles Seltsame zunächst eine natürliche Erklärung findet und sich durch nichts abschrecken lässt. Für Aberglaube hat er nur gutmütigen Spott übrig, und je mehr sich die Vorfälle häufen, desto stärker beharrt er darauf, seine Kabine zu behalten. Witzig ist sein entgeisterter Kommentar "Wir sind auf einem Dampfer - wie weit kann ein Mensch da kommen?", als der Kapitän ihm berichtet, sein Kabinengenosse sei spurlos "verschwunden", und zeigt sein ganzes Unverständnis darüber, wie selbstverständlich die Besatzung den Gedanken an einen Geist hinnimmt. Selbst bei der ersten Begegnung mit dem Geist weigert sich Brisbane, an etwas Übernatürliches zu glauben. Sein Trotz geht so weit, dass er die Gefahr gern in Kauf nimmt und lieber an Halluzinationen glaubt als an Spuk. Anders sieht es bei dem Schiffsarzt Dr. Hollows aus. Obwohl ein Mann der Wissenschaft und durchaus sehr vernünftig, akzeptiert er das Gespenst als solches und sorgt sich ernsthaft um den jungen, unbelehrbaren Passagier. Der Kapitän schließlich ist auch geneigt, an den Spuk zu glauben, erklärt sich aber später tapfer bereit, gemeinsam mit Brisbane der Sache auf den Grund zu gehen.

Sehr gute Besetzung

Wie üblich bei Titania Medien wurde auch hier sehr große Sorgfalt auf die Auswahl der Sprecher gelegt. Axel Malzacher, der bereits u. a. Tom Hollander, Cary Elwes und Josh Brolin in mehreren Rollen synchronisierte, spricht die Hauptfigur. Gut gelungen ist der leichte Unterschied zwischen dem ernsten Ton, den er in der rückblickenden Rahmenhandlung anschlägt, und der etwas hellen Stimmlage mit einem energischen Unterton, die zu dem ungeduldigen Jüngling passt, den er in der Binnenhandlung darstellt. Ein Gewinn für jedes Hörspiel ist der brillante Jürgen Thormann, dessen markante, sympathische und leicht aristokratische Stimme als deutsche Version von Michael Caine berühmt ist und der in dieser Folge bereits zum siebten Mal in der Gruselkabinett-Reihe mitwirkt. Der vernünftige und zugleich sehr menschliche Schiffsarzt Dr. Hollows ist eine passende Rolle, die Thormann wunderbar auszufüllen versteht. Eine kleine, aber feine Rolle hat Tobias Nath als Steward Robert, der große Angst vor dem Spuk hat und sehr überzeugend mit ängstlichem und eindringlichem Ton spricht. Die Soundeffekte sind sehr überzeugend eingesetzt. Zwischendurch spielt ganz leise Musik im Hintergrund, dezent genug, um nie den Redefluss zu stören. Für einen besonderen Gruseleffekt sorgt das Raunen und Kichern des Geistes, das sich unheilvoll steigert.

Kleine Schwächen


Zunächst ist es ein kleines Manko, dass der Hintergrund des Geistes um Dunkeln bleibt. Der Kapitän erzählt Brisbane zwar von den früheren Geschehnissen in der Kabine, aber was genau sich hinter der Geschichte verbirgt, bleibt offen. Das ist schade, denn nur zu gut hätte in diese Situation eine kleine dramatische bis melancholische Sage gepasst, stattdessen bleibt Spekulation. Ein bisschen seltsam und unlogisch ist zudem, dass überhaupt nach den wiederholten Vorfällen noch Passagiere in die Kabine 105 gelassen werden. Würde der Kapitän nicht an das Gespenst glauben, wäre das in Ordnung, da er aber Brisbane selbst dazu rät, nicht dorthin zurückzukehren, fragt man sich unweigerlich, wieso dieses Risiko überhaupt noch eingegangen wird. Zu guter Letzt nimmt es ein klein wenig von der Spannung, dass Brisbane in der Rahmenhandlung als Ich-Erzähler auftritt - denn dadurch weiß man schon, dass er das Abenteuer heil überstanden hat.

Fazit:

Ein sehr atmosphärisches Hörspiel auf hoher See, das - wie für die Reihe üblich - sehr überzeugend umgesetzt ist. Die Handlung vereint Spannung mit gelungenen Charakteren, und die Sprecher sind perfekt besetzt. Der Grusel tritt zwar erst recht spät auf, die Hintergrundgeschichte hätte stärker ausgebaut werden können, und es gibt eine kleine Logikschwäche, aber insgesamt ist die Folge absolut zu empfehlen.

Sprechernamen:

Aldous Brisbane: Axel Malzacher
Robert, Steward: Tobias Nath
Dr. Morten Hollows: Jürgen Thormann
Cpt. Grady: Peter Reinhardt
Joseph Carlyle: Uwe Büschken
Mitreisender: Markus Pfeiffer
Ertrunkener: Uli Krohm